Khalil Gibrans „Von den Kindern“ – ein Leitgedanke zur Kampagne „Pro Kinderrechte“
Literarisch eindrucksvoll formuliert benennt der Dichter Khalil Gibran das Entscheidende an der Erziehung von Kindern: diese als eigenständige (junge) Menschen zu begreifen und zu behandeln, sie auszurüsten zur selbstständigen Wahrnehmung der Welt und ihnen nicht die Weltsicht der Eltern aufzuzwingen.
Aus Khalil Gibrans Überlegungen wird deutlich, wie eine moderne und humanistische Erziehung von Kindern aussehen könnte und sollte – jenseits aller traditioneller Vorstellungen, wonach Kinder Besitztümer der Eltern sind und ausschließlich nach den jeweiligen Vorstellungen ihrer Eltern „geformt“ werden dürfen.
Deshalb: „Ihr dürft Ihnen eure Liebe geben, aber nicht eure Gedanken, denn sie (die Kinder) haben ihre eigenen Gedanken.“
Walter Otte
Eure Kinder sind nicht eure Kinder.
Sie sind die Söhne und Töchter der Sehnsucht des Lebens nach sich selber.
Sie kommen durch euch, aber nicht von euch, und obwohl sie mit euch sind, gehören sie euch doch nicht.
Ihr dürft ihnen eure Liebe geben, aber nicht eure Gedanken, denn sie haben ihre eigenen Gedanken.
Ihr dürft ihren Körpern ein Haus geben, aber nicht ihren Seelen, denn ihre Seelen wohnen im Haus von morgen, das ihr nicht besuchen könnt, nicht einmal in euren Träumen.
Ihr dürft euch bemühen, wie sie zu sein, aber versucht nicht, sie euch ähnlich zu machen.
Denn das Leben läuft nicht rückwärts, noch verweilt es im Gestern.
Ihr seid die Bogen, von denen eure Kinder als lebende Pfeile ausgeschickt werden.
Der Schütze sieht das Ziel auf dem Pfad der Unendlichkeit, und er spannt euch mit seiner Macht, damit seine Pfeile schnell und weit fliegen.
Lasst euren Bogen von der Hand des Schützen auf Freude gerichtet sein; denn so wie er den Pfeil liebt, der fliegt, so liebt er auch den Bogen, der fest ist.
Khalil Gibran
(geb. 1883 gest. 1931) libanesisch-amerikanischer Dichter
(aus: Der Prophet)