un-heil

Tag für Tag werden zahllose Jungen an ihrer Vorhaut beschnitten – oft wegen einer Phimose (Vorhautverengung) oder aus religiösen Gründen. Die meisten dieser Eingriffe sind medizinisch nicht notwendig und daher nach Recht und Gesetz als Körperverletzung zu betrachten. Zudem sind sie Ausdruck der Missachtung des Selbstbestimmungsrechtes und ggf. des Rechtes auf freie Religionsausübung des Kindes.

Diese Erkenntnisse sind keineswegs neu. Dass die massenhaft begangene Verletzung kindlicher Genitalien bislang aber weder von der Öffentlichkeit noch von der Justiz wirklich wahrgenommen wurde, liegt vor allem an der völlig unzureichenden Aufklärung a) über die Funktionen der Vorhaut, b) über das „Krankheitsbild“ Phimose, das eigentlich gar keines ist, und c) über die religiösen und historischen Hintergründe der (z. T. gewollt) schmerzhaften Beschneidung von Jungen.

Mit seinem Buch „un-heil, Vorhaut, Phimose & Beschneidung, Zeitgemäße Antworten für Jungen, Eltern und Multiplikatoren“ unternimmt Mario Lichtenheldt den Versuch, die seit 2008 in Fachkreisen debattierten ethischen, juristischen und medizinischen Gesichtspunkte der Beschneidung minderjähriger Jungen systematisch aufzuarbeiten, in ein laienverständliches Deutsch zu übersetzen und somit einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Aufklärung, nicht Strafe oder Strafandrohung, sind für den Autor DER Weg hin zu einem humanen, achtsamen Umgang mit Kindern und ihren ganz persönlichen Rechten.

Der erste Teil des Buches befasst sich mit der Anatomie, der natürlichen Entwicklung und den Funktionen von Penis und Vorhaut und ergänzt die nach Ansicht des Autors völlig unzureichende und oberflächliche Sexualaufklärung von Jungen.

Dass eine Phimose entgegen der weit verbreiteten Ansicht gar keine Krankheit und eine Beschneidung (von einzelnen Ausnahmen abgesehen) kein Heileingriff ist, erfährt der erstaunte Leser im zweiten Teil des Buches. Weil es sich um einen entwicklungsphysiologisch völlig normalen und sogar nützlichen Zustand handelt, bedarf eine symptomfreie verengte oder verklebte Vorhaut bis zur Pubertät in der Regel keiner Behandlung und schon gar keiner Beschneidung. Die nämlich ist keineswegs „klein und harmlos“, wie oft behauptet wird. Vielmehr kann sie, neben dem „üblichen“ Operations- und Narkoserisiko, gravierende und z. T. lebenslange körperliche, sexuell-funktionelle und psychische Folgen nach sich ziehen. In jedem Fall aber hinterlässt sie einen „un-heilen“, vom natürlichen Aussehen des Penis und seinen gesunden Funktionen abweichenden, per Definition also krankhaften Zustand.

Auch auf zeitgemäße und schonende nichtoperative und vorhauterhaltend operative Therapien bei Vorhautproblemen geht der Autor ausführlich ein. In der schulischen Sexualaufklärung hingegen tauchen diese für viele Jungen wichtigen Fragen bislang überhaupt nicht auf.

Die religiös motivierte Beschneidung minderjähriger und somit nicht einwilligungsfähiger Jungen sieht Lichtenheldt, ausgehend von der juristischen, medizinrechtlichen und ethischen Faktenlage, als das, was sie ist: eine rechtswidrige Körperverletzung und Genitalverstümmelung, die gleich gegen mehrere Grund- und Menschenrechte verstößt, die UN-Kinderrechtskonvention schlichtweg ignoriert und die auch durch das elterliche Erziehungsrecht nicht gedeckt ist.

Die Notwendigkeit einer Abwägung zwischen dem Selbstbestimmungsrecht, dem Recht auf körperliche Unversehrtheit sowie der Religionsfreiheit DES KINDES auf der einen Seite – und dem Erziehungsrecht und der Religionsfreiheit der Eltern (oder der Glaubensgemeinschaft) auf der anderen Seite sieht Lichtenheldt nicht, da sich die Gewichtung dieser Rechtsgüter bereits klar aus der Systematik und dem Inhalt des Grundgesetzes und den internationalen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland ergibt.

So kommt der Autor bereits mehrere Wochen vor dem „Kölner Beschneidungsurteil“ fast wörtlich zum gleichen Ergebnis wie die Richter am dortigen Landgericht, dass es nämlich, abgesehen von einer strengen medizinischen Indikation, keine Rechtfertigung gibt für einen schmerzhaften, irreversiblen und destruktiven Eingriff an den Geschlechtsorganen von Kindern.

Doch Lichtenheldt schaut auch über den sprichwörtlichen Tellerrand hinaus:

Er berichtet über grausame Rituale in Afrika und Australien, bei denen Jungen nicht nur die Vorhaut entfernt, sondern mitunter der gesamte Penis aufgeschlitzt wird – Rituale, die jährlich viele Tote fordern. Er berichtet darüber, wie Pharmakonzerne in Übersee das große Geschäft machen mit der Vorhaut neugeborener Jungen, die sie zu Kosmetika oder zu Kunsthautprodukten verarbeiten. Er berichtet über die wahren Ursachen des Beschneidungswahns in den USA des 19. und frühen 20. Jahrhunderts und über einen bizarren Industriezweig, der sich darauf spezialisiert hat, beschnittenen Männern zu einer neuen Vorhaut zu verhelfen.

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Mario Lichtenheldt wurde 1965 im thüringischen Rudolstadt geboren und lebt heute wieder in seinem Heimatort Oberweißbach, dem Geburtsort des Kindergartengründers Friedrich Fröbel.

Zunächst als Archivassistent, nach der Wende dann als Steuerfachwirt lebte und arbeitete Mario Lichtenheldt viele Jahre in der Goethe- und Universitätsstadt Ilmenau. Heute ist er als Autor tätig, widmet sich vorwiegend gesellschaftspolitischen Brennpunkten und Tabuthemen (Gewalt, geschlechterspezifische Probleme) und schreibt Geschichten für Kinder.