Männliche und weibliche Beschneidung im Vergleich

Das Verhältnis von weiblichen zu männlichen Beschneidungen liegt weltweit bei etwa 1:5. Es werden also fünfmal mehr Jungen als Mädchen beschnitten. Weibliche Beschneidung gibt es nur in Gesellschaften, in denen auch Jungen beschnitten werden. Es wird deshalb allgemein davon ausgegangen, dass die männliche Beschneidung der ältere und ursprünglichere Eingriff ist.

Der Verhaltensforscher Christopher Wilson von der Cornell Universität New York findet den Zusammenhang zwischen weiblicher und männlicher Beschneidung besonders in polygynern vorindustriellen Gesellschaften, in denen die (vielen) Ehefrauen getrennt voneinander in eigenen Haushalten leben. In diesen Gesellschaften ist die Anzahl der männlichen wie auch der weiblichen Genitalverstümmelungen besonders hoch. Die Genitalbeschneidung ist hier Ausdruck sozialer Kontrolle über die Sexualität zum Zweck der Sicherung der legitimen Vaterschaft und der hierarchischen Machtverhältnisse der etablierten Männer gegenüber der jungen Generation. Jungen erhalten erst mit der rituellen Unterwerfung soziale Anerkennung und Zugang zum Heiratsmarkt.

Heute wird die weibliche Beschneidung größtenteils in muslimischen und afrikanischen Kulturen durchgeführt. Bei den Christen sind es nur die Kopten und orthodoxen Äthiopier, die sowohl Mädchen als auch Jungen beschneiden.

Unbestritten ist die radikale weibliche Beschneidung gegenüber der männlichen deutlich gefährlicher und folgenschwerer. Dennoch, so Wilson, wird das Mortalitätsrisiko (Sterberisiko) durch die Jungenbeschneidung unterschätzt.

Die Mädchenbeschneidung kennt verschiedene Formen (regionale und kulturelle Unterschiede), die von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) in vier Kategorien eingeteilt werden. Sie reichen vom einmaligen Einstechen oder Einschneiden der Klitorisvorhaut oder ihrer Entfernung bis hin zur Amputation des gesamten äußeren Genitals, mithin des sichtbaren Teils der Klitoris und der inneren, u. U. auch der äußeren Schamlippen sowie dem fast vollständigen Zunähen der Vagina (Infibulation)1. Nach Schätzungen von Terre des Femmes findet bei 15 % der weiblichen Genitalverstümmelungen eine Infibulation statt. Es gibt aber auch Formen der weiblichen Beschneidung, die mit der männlichen Beschneidung vergleichbar oder sogar harmloser sind, z.B. die Entfernung der weiblichen Vorhaut oder das bloße Einstechen oder Einritzen der Vorhaut.

Die weibliche Beschneidung gilt – zu Recht – ohne Differenzierung in all ihren Ausführungen in der westlichen Welt als schwere grausame Körperverletzung. Die männliche Beschneidung ist aber durchaus mit den milderen Formen der weiblichen Beschneidung vergleichbar. Diesen Zusammenhang haben viele Fachfrauen, die die Ächtung der weiblichen Beschneidung schon seit vielen Jahren unterstützen, bereits erkannt.

Eine international bekannte langjährige Kritikerin der weiblichen Beschneidung ist Hanny Lightfoot-Klein, die für ihr 1989 veröffentlichtes Buch „Prisoners of Ritual. An Odyssey into Female Genital Circumcision in Africa“ (deutsche Ausgabe „Das grausame Ritual“ 1992) 1991 eine Auszeichnung für das beste wissenschaftliche Sachbuch erhielt. In diesem Buch widmete sie sich auch der männlichen Beschneidung, genauso wie in dem späteren Buch „Der Beschneidungsskandal“ 2003. Sie stellt fest, dass sich die Begründung der Beschneidungen beiderlei Geschlechts ähneln: Tradition und Brauchtum. Lightfoot-Klein weist zudem darauf hin, dass vor allem in den USA von der Mitte des 19. bis weit in das 20. Jahrhundert hinein vereinzelt auch Frauen beschnitten wurden (Lightfoot-Klein 2003:15) und zwar aus sogenannten medizinischen Gründen, was heute natürlich gar nicht mehr vorstellbar ist. Neben der weiblichen und männlichen Beschneidung betrachtet sie auch die „Geschlechtskorrekturen“ an intersexuellen Kindern kritisch und hofft für alle Eingriffe, „dass diese Handlungen nicht mehr als nützlich, sondern als schädlich eingeordnet werden und es gelingt, sie endlich der Vergangenheit angehören zu lassen“ (Lightfoot-Klein, 2003:10).

Die sachliche Argumentation führte dazu, dass die Geschlechts-„korrekturen“ an nicht-einwilligungsfähigen Intersexuellen als unnötige und das Individuum verletzende Eingriffe stark zurückgegangen sind. Der Respekt vor dem Individuum und die Achtung seiner Selbstbestimmung haben sich inzwischen weitgehend durchgesetzt. Es gab zu viele Opfer in Folge der unnötigen Genitaloperationen (Folge: Depressionen, sogar Suizide). Heute besteht Einigkeit, dass nur noch bei Gefahr für das Leben oder die Gesundheit, also bei klarer medizinischer Indikation, in die Geschlechtsorgane von Kindern eingegriffen werden darf.

Beschnittene Frauen gelten heute automatisch als Opfer, selbst, wenn sie es ablehnen, sich als Opfer zu betrachten. Beschnittene Männer, die sich gegen ihre Beschneidung aussprechen, haben es gesellschaftlich schwerer, Unterstützung zu finden. Dennoch gibt es inzwischen einige Mutige, die sich an die Öffentlichkeit wenden und sogar Filmemacher, die sich dieses Themas annehmen. So hat auch der (jüdische) Niederländer Michael Schaap den Vergleich zwischen weiblicher und männlicher Beschneidung gewagt, als er in seinem Film 2004 „Mother, why was I circumcised?“ die Politikerin und Aktivistin gegen die weibliche Beschneidung Ayaan Hirsi Ali fragt, ob das Einschneiden der weiblichen Vorhaut (Inzision) nicht harmloser sei als die männliche Beschneidung mit der Entfernung der Vorhaut? Frau Hirsi Ali, die die Frage bejahte, brachte das Thema daraufhin als Eingabe ins Parlament ein, worauf wenige Monate später die männliche Beschneidung ohne medizinische Indikation als Krankenkassenleistung gestrichen wurde. Die vielen spezialisierten Beschneidungskliniken in den Niederlanden erlebten daraufhin einen deutlichen Einbruch.

In Deutschland kommen seit 2008 auch die Strafrechtler Putzke, Jerouschek und Herzberg zu dem Schluss, dass die weibliche und männliche Beschneidung aus juristischer Sicht (Körperverletzung) vergleichbar ist.

Es ist also nur folgerichtig, dass Terre des Femmes das Kölner Urteil begrüßt: Pressemeldung  27.06.2012

Lesen Sie hier ein Interview mit Irmingard Schewe-Gerigk (Terre des Femmes) 25.07.2012.:
„Gleiche Rechte für Jungen und Mädchen!“

Auch Christa Müller von Intact e.V., spricht sich in der Talkshow (Menschen bei Maischberger am 14.08.2012) klar gegen die männliche Beschneidung aus. Sie berichtet in der Sendung sogar, dass ihr vor 17 Jahren gegründeter Verein ursprünglich über die Genitalbeschneidung beiderlei Geschlechts aufklären wollte und sie sich dann gezwungen sah, die Bekämpfung der männlichen Beschneidung aufzugeben, da ihr eine Gemeinnützigkeit sonst nicht genehmigt worden wäre. (Quelle – ab Minute: 05:20)

Typ I: Teilweises oder vollständiges Entfernen des äußerlich sichtbaren Teils der Klitoris und/oder der Klitorisvorhaut (Klitoridektomie).

Typ II: Teilweises oder vollständiges Entfernen des äußerlich sichtbaren Teils der Klitoris und der kleinen Schamlippen mit oder ohne Beschneidung der großen Schamlippen (Exzision).

Typ III: Verengung der Vaginalöffnung mit Bildung eines deckenden Verschlusses, indem die kleinen und/oder die großen Schamlippen beschnitten und zusammengefügt werden, mit oder ohne Entfernung des äußerlich sichtbaren Teils der Klitoris (Infibulation).

Typ IV: In dieser Kategorie werden alle Praktiken erfasst, die sich nicht einer der anderen drei Kategorien zuordnen lassen. Die WHO nennt beispielhaft das Einstechen, Durchbohren, Einschneiden.
http://vimeo.com/10468813

http://frauenrechte.de/online/index.php/themen/weibliche-genitalverstuemmelung/begriffsdefinition.html

http://richarddawkins.net/articles/2680-male-circumcision-is-a-weapon-in-the-sperm-wars

http://www.focus.de/wissen/mensch/rituelle-beschneidungen-waffe-im-kampf-der-spermien_aid_306940.html

http://www.nbb.cornell.edu/wilson.shtml

http://www.anth.uconn.edu/degree_programs/ecolevo/mgmarticle.pdf

http://www.marlene-rupprecht.de/index.php?nr=45654